Manfred Lütz 2023 im Studio von Radio Vatikan Manfred Lütz 2023 im Studio von Radio Vatikan 

D: „Kirche sollte zu sexuellen Fragen Mund halten“

Der Autor, Psychiater und Theologe Manfred Lütz rät den Kirchen zur Konzentration auf ihren Kern. Sie sollten die wesentlichen Fragen in den Fokus nehmen, sagte Lütz der „Augsburger Allgemeinen“ vom Montag.

„Zum Beispiel, ob Gott existiert und ob es das ewige Leben gibt. Darüber wird in der Kirche kaum noch geredet. Da geht es eher um moralische Fragen. Doch das stand nie im Mittelpunkt des christlichen Glaubens.“ Lütz ergänzte: „Ich habe der katholischen Kirche ein mindestens zehnjähriges Bußschweigen zu allen sexuellen Fragen vorgeschlagen. Man sollte zu diesen Themen einfach den Mund halten.“

Es gebe einen Zusammenhang von Kunst und Religion, sagte Lütz weiter. Den Sinn des Lebens könne man tatsächlich sehen, und zwar in großer Kunst. „Die mittelalterlichen Menschen haben den Sinn des Lebens nur gesehen, denn sie konnten zumeist nicht lesen und schreiben. Aber in den Bildern ihrer Kirchen sahen sie, was sie glaubten.“ Auf die Frage, ob es die Gefahr gebe, dass Kunst zum Religionsersatz werde, antwortete Lütz: „Klar, aber wenn sich jemand nicht bloß bildungsbürgerlich betulich mit Kunst beschäftigt, sondern sich in der Seele von Kunst wirklich berühren lässt, dann kann das ein echtes religiöses Erlebnis sein.“

Die Pietà von Michelangelo im römischen Petersdom
Die Pietà von Michelangelo im römischen Petersdom

In fünf Stunden Christ werden

Michelangelos Pietà sei das stärkste Glaubensbekenntnis der Kunstgeschichte. „Ich glaube, dass ein Atheist, der sich fünf Stunden lang verständig die Pietà anschaut, anschließend Christ werden kann“, erklärte Lütz. „Man sieht unten in den Gewandfalten noch das ganze Leid, und je näher der Blick zum Gesicht geht, desto ruhiger werden die Falten. Maria lächelt sanft und anmutig. Eine Mutter, die lächelt angesichts des Leichnams ihres Sohnes, das kann man nur verstehen, wenn diese Mutter wirklich an die Auferstehung glaubt. Und dieser Leib Jesu ist so unglaublich schön gebildet, dass man da die Menschwerdung Gottes buchstäblich sehen kann.“

Im Blick auf Weihnachten ergänzte der Autor: „Wenn die Christen glauben, dass Gott Mensch geworden ist, dann heißt das auch, dass man in Menschen Gott begegnen kann und vor allem, dass wir nicht sinnlose, winzig kleine Lebewesen in einem sinnlosen, gigantischen kalten Weltall sind, sondern jeder und jede von Gott geliebt und gewollt ist.“

(kna – sk)
 

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23. Dezember 2024, 11:34