Präsident Macron 2018 mit Erzbischof Michel Aupetit von Paris Präsident Macron 2018 mit Erzbischof Michel Aupetit von Paris 

Schon wieder: Streit um Laizität in Frankreich

Emmanuel Macron will den Islam in Frankreich besser unter Kontrolle bekommen: Dazu hat der Präsident Anfang Februar über seine Regierungsmehrheit ein Gesetzesvorhaben in die Pariser Nationalversammlung einbringen lassen. Die Debatte tobt – und auch die katholische Kirche hat Bauchschmerzen mit dem Text.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Dabei ist der Inhalt des Gesetzespakets ausgesprochen vielfältig: In mehreren Dutzend Artikeln geht um religiöse Neutralität im öffentlichen Dienst, um Maßnahmen gegen Hass im Netz, um stärkere Kontrolle religiöser Vereine, um stärkere Transparenz bei der Finanzierung von Kultstätten, um Kindergarten- und Schulpflicht ab dem Alter von drei Jahren. Und um das Verbot von Polygamie, Zwangsheirat und Jungfräulichkeits-Bescheinigungen. Außerdem dürfen im Ausland ausgebildete Imame nicht mehr in Frankreich predigen.

„Wenn es eine Krankheit gibt, muss man die Krankheit beim Namen nennen“, sagte Innenminister Gérard Darmanin in der „Assemblée Nationale“ zu Beginn der Debatten. „Kultfreiheit, religiöse Pluralität, Neutralität des Staates – so sieht aus unserer Sicht die Medizin aus.“

Innenminister Darmanin verteidigt das Gesetzespaket im Pariser Abgeordnetenhaus
Innenminister Darmanin verteidigt das Gesetzespaket im Pariser Abgeordnetenhaus

„Nicht an die Laizität rühren“

Doch von rechts wie links ist das Projekt unter starken Beschuss geraten. Den einen geht es nicht weit genug, den anderen ist es zu scharf. Vor allem in den Vorstädten (banlieues) setzen sich islamische Praktiken und Haltungen immer stärker durch: Verschleierung, Halal-Schulessen, Ramadan, Hinterhof-Moscheen mit unkontrollierten Predigern, Abmeldung von Mädchen vom Sportunterricht. In all dem sehen viele Franzosen eine Herausforderung an ihre Republik.

Nun schlagen in Frankreich die Wellen immer hoch, wenn es um die sogenannte Laizität, das Grundcredo der Republik, geht. Die Laizität ist in einem Gesetz von 1905 festgeschrieben, und Vincent Neymon, der Sprecher der französischen Bischofskonferenz, warnt eindringlich davor, an dieses Gesetz zu rühren.

„Die französische Laizität ist einzig in ihrer Art; sie soll genauso die Freiheit geben, zu glauben, wie nicht zu glauben. Man sieht aber, dass es in der Politik bestimmte Tendenzen gibt, die dafür sorgen wollen, dass die Religionen in der Öffentlichkeit nicht mehr auftauchen. Nun geht es nicht darum, irgendein Sonderrecht oder Sonderinteresse der Religion zu verteidigen, sondern es geht um ein Bild der Gesellschaft im Ganzen: Es ist doch klar, dass eine Gesellschaft, die Bürger wegen ihres Glaubens mundtot macht, auf einem schlechten Weg ist: Das ist das beste Mittel, um eine Gesellschaft zu schwächen und das Risiko von Radikalisierung und Extremismus zu erhöhen.“

Das Gleichgewicht von Freiheit und Kontrolle

Religionsfreiheit bedeute eigentlich genau das Gegenteil: nämlich, den Religionen ihren Platz und ihren Freiraum zu lassen. „Mit der einzigen Einschränkung, dass sie die öffentliche Ordnung nicht stören dürfen.“ Natürlich sind auch die Katholiken verstört angesichts des Terrors von Islamisten in den vergangenen Monaten und Jahren: Stichwort Attentat auf eine Kirche in Nizza, oder die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty. Aber die Kirche hält am interreligiösen Gespräch fest und warnt vor größeren Änderungen am Laizitäts-Gesetz.

Zum Nachhören: Streit in Frankreich um Gesetz zur Verteidigung republikanischer Werte

„Das Gesetz von 1905 wurde mehrfach im Lauf der Geschichte angepasst, aber es bewahrt auf ziemlich subtile Weise das Gleichgewicht. Es wäre gefährlich, dieses Gesetz aus falschen Beweggründen ändern zu wollen. Es stimmt, dass unsere protestantischen Geschwister und unsere muslimischen Freunde unter bestimmten Aspekten dieses Gesetzes leiden, denn es ist damals – 1905 – speziell auf die Katholiken zugeschnitten worden. Man kann auch verstehen, dass die Regierung auch die islamischen Verbände im Gesetz von 1905 berücksichtigen will. Aber es dürfte eigentlich nicht um mehr Repression oder mehr Kontrolle gehen, sondern um mehr Freiheit! Oder um ein gewisses Gleichgewicht von Freiheit und Kontrolle. Aber unsere Sorge ist, dass das Gesetz zu einem eher repressiven Werkzeug gemacht werden soll.“

 Demo gegen das Gesetzesvorhaben am 14. Februar in Paris
Demo gegen das Gesetzesvorhaben am 14. Februar in Paris

Castex: Gesetz richtet sich nicht gegen die Religionen

Das sieht Regierungschef Jean Castex naturgemäß anders. „Die Laizität gibt jedem das Recht, zu glauben oder nicht zu glauben. Sie stellt auch die Unterscheidung zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre sicher. So ist dafür gesorgt, dass keine Religion im öffentlichen Raum die Regeln diktieren kann. Dieses Gesetzesvorhaben ist nicht gegen die Religionen gerichtet! Auch nicht gegen den Islam. Das ist vielmehr ein Gesetz der Freiheit, aber auch des Schutzes. Es geht um Emanzipierung von religiösen Fundamentalismen oder Ideologien. Das Gesetz will sowohl den Respekt der republikanischen Werte als auch die freie Religionsausübung garantieren.“

Thema Islam droht in den Wahlkampf zu geraten

Nächstes Jahr stehen Präsidentenwahlen an. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen setzt Macron unter Druck, er sei zu weich angesichts der islamistischen „Übernahme“ des Landes. Der katholischen Kirche geht es darum, ihre Anliegen zu positionieren, aber nicht in die Speichen des Wahlkampfs zu greifen. Der Kontakt zur Regierung sei gut, versichert Neymon deshalb.

„Der Dialog ist überhaupt nicht unterbrochen. Wir stehen mit den verschiedenen Verantwortlichen der Regierung in einem ständigen Dialog. Die Bischofskonferenz und die zuständigen Ministerien haben schon viel Arbeit geleistet, um die Autoren des Gesetzes auf spezifische Risiken aufmerksam zu machen, die dieser oder jener Artikel mit sich bringen könnte. Wir reden auch in den Medien Klartext, und unser Eindruck ist, dass unsere Stimme auch gehört wird. Noch ist das Gesetz nicht geändert… Beim Gesetzesvorhaben hat schon hier und da Textänderungen gegeben, die sich den Diskussionen und Interventionen aus den Religionsgemeinschaften verdanken.“

(vatican news)
 

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15. Februar 2021, 11:37