Heiliges Land: „Wir weigern uns, Feinde zu sein"

Inmitten von Hass und Krieg setzt eine palästinensische christliche Familie südwestlich von Betlehem Zeichen des Friedens: „Wir weigern uns, Feinde zu sein“ ist das Motto ihrer „Zelt der Nationen“-Farm, auf der Freiwillige verschiedener Nationen und Religionen arbeiten und gewaltfreien Widerstand leben.

Antonella Palermo - Vatikanstadt

Vom Heiligen Jahr 2025 erhofft sich der palästinensische Christ Daoud Nassar „eine neue Ära“, die „Gerechtigkeit und Frieden“ in seine Heimat bringt, wie er im Interview mit Radio Vatikan sagt. Im Hoffen ist der Christ, der 2002 mit seiner Familie das „Tent of Nations“-Projekt ins Leben rief, ein Meister: unter widrigsten Umständen stemmt er sich gegen Dynamiken des Hasses und Krieges, die sich im Heiligen Land zuletzt zugespitzt haben.

Die palästinensische Oliven-Farm im Westjordanland ist seit 1916 im Besitz von Nassers Familie. In den 1990er Jahren erklärte die israelische Regierung das Land zum Eigentum des Staates Israel: dies war der Beginn eines bis heute andauernden Rechtsstreits. Heute ist das Grundstück von Häusern israelischer Siedler umgeben. Der palästinensische Christ berichtet über Einschüchterungsversuche: einmal wurden Zufahrtsstraßen mit Felsbrocken gesperrt, ein anderes Mal uralte Olivenbäume ausgerissen.

Nicht hassen, eine Selbstverpflichtung

Die „Feindstrategie“ sei die einfachste in einem solchen Kontext, so Daoud, der in einer lutherischen Palästinenser-Familie aufwuchs und als Teenager die erste Intifada erlebte. Er selbst und seine Familie verweigerten sich dem Hass. Das sei auch das Motto der „Tent of Nations“-Farm, so der Vater von drei Kindern: „Für uns Christen ist das Motto ,Ich weigere mich, ein Feind zu sein‘ eine Selbstverpflichtung. Wir können nicht in der Heiligen Schrift lesen und dann keine christlichen Prinzipien verwirklichen. Ich möchte keines von Gottes Geschöpfen negativ sehen, Gott hat etwas Gutes, nicht etwas Schlechtes geschaffen. Das Schlechte, die Gier, die Kontrolle, kommt von Menschen, die sich negativ verhalten und Teil eines ungerechten Systems sind.“

Bleiben, gewaltfreier Widerstand

Anders als andere Ansässige, die unter den aktuellen Umständen dem Hass verfallen, resignieren oder der Besatzung ausweichen und auswandern, geht die Familie Nassar einen anderen Weg: Sie bleibt. Und sie bleibt friedlich und kultiviert die Hoffnung. Es ist der Weg des gewaltfreien Widerstandes. Einfach sei das nicht, denn die Lebens- und Produktionsbedingungen im hügeligen Umland von Betlehem werden immer widriger. So ist es der Nassar-Familie etwa verboten, auf der Farm Wasserkanäle anzulegen und Strom anzuschließen. Für den Anbau der Pflanzen sammele man deshalb Regenwasser in Zisternen, so Daoud; für den Strom habe man auf Solarzellen umgestellt, die dank der Spenden ausländischer Freiwilliger installiert werden konnten.

Daoud Nassar mit Vatican News-Journalistin Antonella Palermo
Daoud Nassar mit Vatican News-Journalistin Antonella Palermo

Samen der Hoffnung

Der 1970 geborene Palästinenser, der sich in Betlehem zum Betriebswirt ausbilden ließ, hat in Deutschland ein Postgraduierten-Diplom in Internationalem Tourismusmanagement erworben. Zurück in Bethlehem arbeitete er auf dem Familienbetrieb, wo er zur Zeit der zweiten Intifada das „Tent of Nations“-Projekt ins Leben rief, das mithilfe von freiwilligen Helfern Landwirtschaft und Kulturaktivitäten betreibt. Das Projekt stütze sich auf vier Prinzipien, erläutert Daoud: „Ich weigere mich, ein Opfer zu sein, denn ich bin verantwortlich für das, was ich tue. Ich weigere mich zu hassen, denn der Hass zerstört mich. Drittens handele ich anders, nicht, weil es eine Schwäche wäre, sondern aus meinem christlichen Glauben heraus. Und viertens glauben wir an die Gerechtigkeit – der Weg dahin ist lang und schwierig, aber irgendwann wird sie siegen.“

Im Laufe der Zeit hat sich der Hof so strukturiert, dass er dank Zelten und Unterkünften in umliegenden Höhlen das ganze Jahr über Essen, Unterkunft und Dienstleistungen anbieten kann. Neben der Landwirtschaft gibt es beim „Tent of Nations"-Projekt Theater- und Zeichenkurse, Musikgruppen oder andere Workshops, in die arme Kinder aus der Gegend einbezogen werden. Für seinen Ansatz, Gewaltfreiheit und Verständigung unter schwersten Bedingungen zu fördern, wurde Daoud Nassar mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Der palästinensische Christ traf Papst Franziskus jüngst am Rande der Generalaudienz und berichtete über seine Erfahrungen. 

 [ Photo Embed: Nassar bei einer Begegnung mit dem Papst im November]

Interview: Antonella Palermo von Vatican News. Palermo traf Daoud mit seiner Frau und seiner Tochter Shadin Ende November in Rom. Zuvor hatte die Familie bei der Generalaudienz kurz mit Papst Franziskus sprechen können.


(vatican news – pr)

 

 

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19. Dezember 2024, 12:14