Zenari nach Fall von Damaskus: In Syrien hoffen wir jetzt auf Versöhnung
Francesca Sabatinelli und Christine Seuss - Vatikanstadt
Der Apostolische Nuntius in Damaskus berichtete in einem kurzen Telefonat mit Vatican News am Sonntagmorgen über die letzten Stunden in der von den Rebellen eroberten syrischen Hauptstadt. Er hoffe auf eine Erholung des Landes, ein friedliches Zusammenleben und vor allem die Achtung der religiösen Traditionen, so der Nuntius, der seit ungewöhnlich vielen Jahren - nämlich seit 2008 - an seinem Einsatzort ist.
„Seit fünf Uhr heute Morgen bin ich wach. Ich hatte Angst, denn ich hörte die ganze Zeit Schüsse, Schüsse, Schüsse, auch jetzt sind Schüsse auf der Straße zu hören, aber wie es in dieser Gegend üblich ist, schießen die Leute in die Luft um zu feiern, weil dieses Problem, das so viel Beunruhigung verursacht hat, gelöst worden ist. Ohne Blutvergießen oder Gemetzel, wie man vielleicht befürchtet hatte“, zeigte sich der Nuntius über den relativ glimpflichen Ausgang erleichtert.
In den frühen Morgenstunden waren Rebellen in Damaskus einmarschiert, auch die drittgrößte Stadt des Landes, Homs, war nach Aleppo bereits an die Rebellen gefallen. Sinnbild des Regimewechsels: Die Zerstörung der Statue in Damaskus, welche Hafez al-Assad, dem Vater des im Jahr 2000 verstorbenen Präsidenten Bashar, gewidmet war, markierte das Ende einer Dynastie, die die Unzufriedenheit der Bevölkerung, die in den letzten 14 Jahren zu einem grausamen Bürgerkrieg führte, nicht eindämmen konnte.
Die Rebellen der Hayat Tahrir al-Sham verkündeten den Fall der Hauptstadt im Fernsehen und erklärten den Sturz von Bashar al-Assad, dessen Schicksal bis mittags noch unklar war. Medienberichten zufolge könnte er auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim im Gouvernement Latakia Zuflucht gesucht haben, von dort auf könnte er dann nach Moskau ausgeflogen worden sein. Premierminister al-Jalali sei festgenommen worden, hieß es. Alle Gefangenen wurden freigelassen, während die Rebellen Bürger und Kämpfer aufriefen, das Staatseigentum zu schützen.
„Diejenigen, die die Macht übernommen haben, haben versprochen, dass sie alle respektieren werden, aber der Weg ist noch steinig“, kommentierte der Kardinal in unserem Gespräch.
Insbesondere die Situation an den Grenzen des Landes ist unübersichtlich: Der Irak hat seine Grenzen geschlossen und den Grenzübergang Al-Qaim gesperrt, während die israelische Armee zusätzliche Truppen auf den Golanhöhen stationiert hat. Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren – das letzte Mal war 1974, nach dem Ende des Jom-Kippur-Krieges – werde die IDF die Pufferzone zu Syrien betreten und ihre Truppen und Fahrzeuge an der Grenze platzieren, „um die israelischen Bürger zu schützen“, so die israelische Armee.
Unterdessen hofften die Bürger, ebenso wie Nuntius Zenari, nun auf eine neue Ära des Friedens und der Versöhnung in dem gezeichneten Land. Zumindest die Zusicherungen der Rebellen klängen beruhigend, meinte er:
„Die Rebellen haben sich gleich in den ersten Tagen mit den Bischöfen in Aleppo getroffen und sie haben uns zugesichert, dass sie die verschiedenen religiösen Konfessionen respektieren werden und die Christen respektieren werden. Wir hoffen, dass sie dieses Versprechen einhalten werden und dass sie sich in Richtung Versöhnung bewegen werden. Wir hoffen auch, dass neben der Versöhnung auch ein gewisser Wohlstand in Syrien eintreten wird, weil die Menschen es nicht mehr aushalten konnten und deshalb geflohen sind.“
Es sei gerade für die jungen Menschen undenkbar gewesen, in diesem Land und unter den herrschenden Umständen eine Überlebensmöglichkeit für sich zu sehen, gab der italienische Vatikan-Diplomat zu bedenken:
„Der einzige Wunsch der jungen Leute war zu fliehen, weil sie in ihrem Land keine Zukunft sahen, und jetzt hoffen wir, dass die Tür zur Hoffnung geöffnet wird, denn was wir sahen, war Hoffnung, die im Sterben lag oder bereits gestorben war. Jetzt hoffen wir, dass wir mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft und dem guten Willen aller Syrer einen Weg der Versöhnung und des Wiederaufbaus und ein Mindestmaß an Wohlstand für alle Menschen erreichen können.“
Nun gelte es auch für die internationale Gemeinschaft, den neuen Machthabern einen gewissen Vertrauensvorschuss zu geben und an die Bevölkerung zu denken, so der Appell des Kirchenmannes:
„Ich würde sagen: in der Hoffnung, dass diejenigen, die die Macht übernommen haben, ihr Versprechen einhalten und ein neues Syrien auf demokratischer Grundlage schaffen, wird hoffentlich auch die internationale Gemeinschaft reagieren, vielleicht durch Aufhebung der Sanktionen. Denn sie waren eine solche Belastung, vor allem für die arme Bevölkerung. Deshalb möchte ich hoffen, dass die Sanktionen nach und nach aufgehoben werden.“
Erleichterung in Deutschland
Die Bundesregierung hat mit Erleichterung, aber auch Warnungen vor einer ungewissen Zukunft auf die jüngsten Entwicklungen in Syrien reagiert. Das „Ende der Assad-Herrschaft“ sei eine gute Nachricht, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag in Berlin. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem „ersten großen Aufatmen“ für Millionen Syrer. Zugleich betonte sie, das Land dürfe jetzt nicht in die Hände „anderer Radikaler fallen - egal in welchem Gewand“.
Scholz sagte, dass der langjährige syrische Machthaber Baschir al-Assad sein eigenes Volk auf brutale Weise unterdrückt, unzählige Leben auf dem Gewissen und zahlreiche Menschen zur Flucht aus Syrien getrieben habe, viele seien auch nach Deutschland gekommen. „Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden. Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen.“
Innenministerium: Fluchtbewegungen nicht vorhersehbar
Das Innenministerium teilte den Zeitungen der Funke Mediengruppe mit, dass die Bundesregierung die sich rasch verändernde Lage genau verfolge. „Ob sich aus dieser Lage Fluchtbewegungen in der Region oder aus der Region hinaus ergeben, ist zur Zeit noch nicht vorhersehbar.“ Welche Auswirkungen die Lage auf die Möglichkeiten von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr haben werde, sei ebenfalls nicht vorhersehbar. In die Prüfung möglicher Abschiebungen würden die aktuellen Entwicklungen und die Erkenntnisse, die der Bundesregierung zur Sicherheitslage in Syrien vorliegen, einbezogen.
Am Wochenende waren Dschihadisten bis in die Hauptstadt Damaskus vorgerückt. Der Verbleib des mutmaßlich geflohenen langjährigen Machthabers Baschar al-Assad war zunächst unbekannt. Die islamistischen Rebellen waren seit Ende November in einer Offensive in dem Land vorgerückt. Am Sonntag gab es Medienberichte, wonach in Damaskus und anderswo Menschen auf den Straßen das Ende der Assad-Zeit feierten.
Umfassender Schutz von religiösen Minderheiten
Die Konfliktparteien seien jetzt aufgerufen, ihrer Verantwortung für alle Syrerinnen und Syrer gerecht zu werden, betonte Baerbock. „Dazu gehört der umfassende Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten wie Kurden, Alawiten oder Christen und ein inklusiver politischer Prozess, der einen Ausgleich zwischen den Gruppen schafft.“ Wenn die „zentralen Akteure von innen und außen“ nun im Sinne der Menschen in Syrien handelten, könne der schwierige Weg zum Frieden beginnen.
„Auch die internationale Gemeinschaft ist jetzt gefragt, damit Syrien aus dem Kreislauf von Krieg und Gewalt endlich herauskommt“, erklärte die Ministerin. Dazu gebe es derzeit intensive Abstimmungen etwa mit den Vereinten Nationen, Partnern in der EU sowie den regionalen Akteuren und Nachbarn Syriens wie Türkei und Jordanien.
Entwicklungsministerin hofft auf friedlichen Übergang
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte der „Rheinischen Post“ (Montag): „Heute ist ein Tag der vorsichtigen Hoffnung auf einen friedlichen Übergang, der allen Religionen und Ethnien gleiche Rechte sichert und der frei von Rachegedanken ist." Dabei müsse auch eine „territoriale Integrität“ gewahrt werden.
missio: Religiöse Minderheiten müssen geschützt werden
Erleichtert über die friedlich abgelaufene Machtübernahme in Damaskus zeigte sich auch das katholische Hilfswerk missio. Bislang seien keine Übergriffe gegen Christen oder andere religiöse Minderheiten zu beobachten, so eine Aussendung des Hilfswerkes am Sonntag. Nach den dramatischen Ereignissen dieser Tage stehe missio Aachen in engem Kontakt mit seinen Projektpartnern vor Ort, hieß es dort:
„Wir sind erleichtert, dass es derzeit nach unseren Informationen bisher keine Gewalt gegen die christliche Minderheit gegeben hat“, sagte Pfarrer Dirk Bingener, Präsident von missio Aachen. „In dieser unübersichtlichen und dynamischen Lage gilt es besonders auf den Schutz von Minderheiten zu achten. Denn nicht zuletzt auch an der Frage, ob sie eine Zukunft in Syrien haben, wird deutlich, ob sich die Situation im Land zum Besseren wendet.“ Die Bundesregierung und die westliche Diplomatie sollten insbesondere auf den türkischen Präsidenten Erdogan mit Blick auf den Schutz der Minderheiten aufgrund seines Einflusses auf die Kräfte in der Region einwirken. Auch in der Türkei feierten die Menschen auf der Straße, als sich die Nachricht vom Fall des Assad-Regimes verbreitete.
Der Leiter des Regionalbüros Naher Osten von missio Aachen, Robert Chelhod, berichtete am Sonntag von seinen Gesprächen mit Partnern in Aleppo, Homs und Damaskus. Demnach beobachteten sie „derzeit keine Gewalt gegen Minderheiten“. Sie seien sich einig, dass Syrien nun in eine „neue politische Phase“ eingetreten sei. Dabei befürchteten sie eine Teilung Syrien in verschiedene Einflusszonen. „Jetzt ist es wichtig, eine politische Leitfigur zu finden, die das Land regieren kann, alle Teile der Gesellschaft vereint und sich jedem Versuch, das Land zu spalten, widersetzt“, sagte Chelhod gegenüber missio Aachen. Die internationale Staatengemeinschaft solle sich für die „Einheit Syriens“ einsetzen. Nötig sei ein geordneter, friedlicher Übergang, in dem Syrerinnen und Syrer über ihre Zukunft selbst entscheiden können.
(vatican news/kna/pm - cs)
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